Erfahrungsberichte von Lehrerinnen und Lehrern



Logo Kopfkick Erfahrungsbericht von: Thomas Busch, Oberstudienrat für Deutsch und Musik am Nicolaus-Cusanus-Gymnasium in Bonn-Bad Godesberg, NRW (Juni 2015)

Lektüre: „Der Torwächter“ von Markus Stromiedel”

Klassenstufe: 7. Klasse Gymnasium

„Der Torwächter – eine spannende und anspruchsvolle Jugendbuch-Lektüre in einer siebten Klasse.

Bisher habe ich kein Jugendbuch ein zweites Mal mit einer Klasse gelesen: Nicht, weil ich mit der Wahl eines Jugendbuches unzufrieden gewesen wäre, sondern aus purer Neugier und auch, weil ich mit jeder Klasse ein besonderes Buch, ein Buch für diese Klasse mit ebendieser Klasse lesen möchte.

Jetzt habe ich eine Ausnahme gemacht; und zwar in zweifacher Hinsicht. Nicht nur habe ich Markus Stromiedels „Der Torwächter“ ein zweites Mal mit einer siebten Klasse gelesen, sondern mit diesem Titel auch zum ersten Mal eine Fantasy-Lektüre gewählt. Hinter der „Fantasy-Oberfläche“ des Romans verbirgt sich allerdings noch etwas Anderes: ein Entwicklungsroman, der feinsinnig die Geschichte eines Jungen am Ende seiner Kindheit zeichnet, an der Schwelle, die Verantwortung eines Erwachsenen zu übernehmen.

In dieser Phase verändert sich naturgemäß das Beziehungsgeflecht eines jungen Menschen, so auch das der Hauptfigur dieses Romans, des jungen Simon – insbesondere, aber nicht nur in der eigenen Familie. Das macht die Auseinandersetzung mit den Figuren der Erzählung und ihrer Beziehung zueinander für SchülerInnen einer siebten Klasse lohnend: Sie kennen die Fallstricke in den Beziehungen zu Gleichaltrigen, sie kennen die Bedürfnisse und die Brüche in den Beziehungen zu erwachsenen Bezugspersonen. Markus Stromiedel entwickelt diese Beziehungen; sie vollziehen sich in den Handlungen und Gesprächen der Figuren, nie in abstrakten Benennungen.

Ebenso faszinierend stellt der Autor Situationen und Orte dar: Immer steht die Wirkung auf die Sinneswahrnehmung der Identifikationsfiguren des Lesenden im Vordergrund; so laufen Episoden der Handlung und Schilderungen von Orten wie Filmsequenzen vor dem inneren Auge des Lesenden ab. Sicher hinterlässt hier die Vergangenheit des Autors als Verfasser von Drehbüchern und Produzent von Filmen ihre Spuren: zum Vorteil gerade auch weniger lesebegeisterter, mehr durch visuelle Medien geprägte junge Leser.

Ein geheimnisvoller Turm in der Mitte einer Stadt, „im Zentrum der Straßenschluchten wie eine Spinne in ihrem Netz“, blendet die jugendlichen Protagonisten beim ersten Anblick: „Geblendet kniffen sie die Augen zusammen. (...) Simon blinzelte in das Licht. Wie ein glühender Feuerdorn ragte der Turm in den Himmel.“ In den Höhepunkten der überschaubaren, gut zu bewältigenden Kapitel gerät die Sprache des öfteren unversehens zur rhythmischen Prosa und gewinnt eine musikalische Qualität, die zum ausdrucksgestaltenden Vorlesen einlädt. Nebenbei: Das Spinnen-Motiv ist eines von mehreren Leitmotiven, das sich variationenreich durch den gesamten Text zieht und für Schüler nachvollziehbar eine längere Erzählung auch als „Textur“, also Gewebe greifbar macht: Es gibt hier eine Menge über literarisches Schreiben zu lernen.

Die an Bildern und Stilmitteln reiche und dadurch ebenso schöne wie wirkungsvolle Sprache Stromiedels lädt zur näheren (analytischen) Betrachtung ein. Im Unterricht gab es gelegentlich Momente, in denen Sprachreflexion zum Spaß wurde: Wir spielten mit Alliterationen, Assonanzen, Rhythmen oder Bildern. Dass der Autor bei anspruchsvoller sprachlicher Gestaltung dennoch den Ton der Jugendlichen trifft, beweist die Reaktion meiner Klassen: Noch bevor die Lektüre im Unterricht abgeschlossen war, hatten nicht wenige längst den zweiten Band gelesen und fiebern nun der Veröffentlichung des dritten Bandes entgegen; und auch einige „notorische Nicht-Leser“ sind auf den Fortgang der Erzählung gespannt.“


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